Dass Wein traditionell keine Gebrauchsanweisung beiliegt, empfindet die Redaktion als problematisch, ein echtes Desiderat. Wenn man nicht weiß, wie und wann man Wein richtig trinkt, führt das eben oft zu Irritationen und oberflächlichen Urteilen. So geht es uns auch oft, denn wir haben mehr Durst als Geduld. Kommt Wein, von dem man weiß, dass er geil sein soll, will man ihn auch trinken. Anders war es nicht mit den Chardonnays vom Weingut Wageck.
Kellermeister Thomas hatte uns gewarnt, die Chardonnays müssten eigentlich noch Jahre liegen. Den aktuellen Jahrgang jetzt zu öffnen, wäre kindisch und albern – ein Sakrileg. Aber die Mahnung war wie frischer Sauerstoff, der uns in dem Drang befeuerte, die Flaschen zeitnah zu öffnen. Wir hielten uns für große Kenner und glaubten, ähnlich wie die großen Wein-Juroren, über ein solch tiefgreifendes sensorisches Verständnis zu verfügen, dass wir schon jetzt das Potenzial ganzer Dekaden antizipieren und zukünftige Reifestadien prognostizieren könnten.
»Hochmut kommt vor dem Fall«. Wir öffneten den Chardonnay Sülzner Weg 2016. Zunächst befüllten wir die Gläser mit dem Sülzner Weg und siehe da, der Wein präsentierte sich im Glas ganz ordentlich, in seiner Jugendlichkeit erkannten wir uns wieder: burgundisch, komprimiert, komplex und geil. Wir beschlossen, dem Wein ein wenig Luft zu gönnen, doch der Sauerstoff arbeitete gegen uns. Anstatt ihn zu öffnen, verschloss er den Wein. Nach gut 5 Minuten war er komplett zu – man hätte meinen können, dass er noch in der Flasche, nicht im Glas war. Frust machte sich breit. Wir beschlossen, Thomas zu kontaktieren. Der hatte Verständnis für unsere Ungeduld, schimpfte kurz und war dann ganz gütig gegen uns. Er gab die Anweisung, den Korken aufzustöpseln und die Flasche für 30 Tage zurück in Kühlschrank zu stellen. Die Reue hatte uns gepackt und wir folgten seiner Anweisung, auch wenn sie uns absurd vorkam. Nach gut 30 Tagen und 30 Nächten war es so weit, wir entkorkten die Flasche ein zweites Mal. Die Verzückung war groß! Was da ins Glas floss war einer der besten Burgunder, den wir bis dato getrunken hatten. Hoch komplex und durchstrukturiert, angenehm speckig, leicht floral und würzig. Im Mund klang er noch gefühlte Minuten nach und veränderte sich stetig. Die Speedreifung im Kühlschrank hatte uns einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie der Wein wohl in 3 Jahren schmecken würde. Wir waren dankbar und beschämt zugleich.
