»Die Traube ist megakompliziert, aber wenn man einmal weiß, was Spätburgunder braucht und wie man ihn behandeln muss, ist jedes Glas davon eine echte Freude.«
– Captain Cork. Das ultimativ andere Weinbuch, S. 30

Unter hunderten von eingesandten Weinbüchern hat sich die sptbrgndr-Redaktion dafür entschieden, Captain Corks Weinbuch von 2013 zu rezensieren – einfach weil jeder Blogger, der was auf sich hält, da was zu sagen muss. Gute Rezensenten gucken immer erst einmal, was andere Leute so denken, um Schreibarbeit zu sparen und anschlussfähig zu sein. Die Kritiken changieren zwischen affirmativem Lob und polemischer Kritik. Wir werden uns also dazwischen positionieren. Aber erst einmal in Stimmung bringen, sind ja selbst mit der See anverwandelt: Heino, Seemannsfreud/Seemannsleid, Track 1: »Mal die Heimat, mal die Ferne, aber stets die selben Sterne«…

Ein Sprichwort sagt, dass man das Huhn nicht am Gefieder erkennt. In diesem Sinne wollen wir uns auch nicht zum Autoren-Kollektiv, den biographischen Hintergründen etc. äußern. Einzig das geschriebene Wort soll zählen. Ruppig, keck und frech räumt der Captain erst einmal mit allen Weinmythen auf, die es so gibt, um anschließend in praktische alltägliche Weinfragen hinüberzuwechseln. Das zweite Kapitel setzt sich mit regionalen Unterschieden sowie Weinsorten auseinander. Im dritten und abschließenden wird von der Arbeit im Weinberg, Keller, Weinmarketing etc. berichtet. Alles in allem eine schlüssige Gliederung. Die nackten Inhalte findet man so aber auch in jedem anderen Weinbuch. Das innovative an dem Buch ist die Form, nicht der Inhalt.

Auffällig ist zunächst die arg überzogene Seefahrermetaphorik, die einen auf jeder Seite anspringt – und sei es nur in Form grafischer Elemente. Weite Teile des Textes kommen aber dann wieder ganz ohne nautische Referenzen aus, so dass nicht recht klar wird, warum das in der Aufmachung des Buches so hervorgehoben wird. Letztlich hat man den Eindruck, dass die Seefahrerei dem ganzen doch ein wenig aufgesetzt ist – vor allem, weil sie die Buchgestaltung so nervig dominiert: Alle Überschriften zum Beispiel sehen aus wie mittels Farbschablonen beschriftete Rumfässer – das verliert auf die Dauer schnell seinen ohnehin nicht allzu großen Reiz (Ausnahme sind die schönen Übersichtskarten über die verschiedenen Weinregionen, die dafür einen dankbaren Gegenstand abgeben). Überhaupt hätte die Redaktion es noch besser gefunden, wenn nicht so eindeutig Kapitän James Cook zum Schirmherrn gemacht worden wäre, sondern – origineller, lustiger und auch phonetisch passender – Captain Kirk!

Auch wenn Captain Cook ein betont rechtschaffener Mann war, scheint die mitschwingende Assoziation, auf die es hier ankommt, die Piraterie zu sein. Ein wichtiges Anliegen des Buches ist es, gängige Weinklischees freibeuterisch unter Beschuss zu nehmen und damit eine im klassischen Koordinatensystem »unmögliche« Position zu besetzen: Der Captain möchte gern ganz anders sein als die anderen. Der Anspruch anders zu sein, um sich von der Masse abzugrenzen, ist als Selbstzweck aber reichlich albern. Meistens ist das Andere dann so gewöhnlich wie das Gewöhnliche, also eigentlich überflüssig. In der Regel fällt uns dies bei pubertierenden Jugendlichen, die sich von ihren Eltern abgrenzen wollen, am deutlichsten auf.

Damit ist auch schon die wichtigste Funktion und zugleich das größte Verdienst des Buches umrissen. Denn es erfüllt für die Weinwelt die gleiche Funktion wie Tic Tac Toe für die Jugendkultur der 90er: Es hilft dabei, ein Gesellschaftsbild aufzubrechen. Bis ins 21. Jahrhundert hinein war der Konsum von gutem Wein und die Befähigung, diesen zu genießen, eines der Hauptdisistinktionsmerkmale der gebildeten Oberschicht. Cork hat dieses Narrativ gekapert und Interessenten ermuntert, passiv und aktiv am Weindiskurs zu partizipieren. Dabei versteht es sich ja ganz von selbst, dass sensorische Genies, die das Weinvokabular schon mit der Muttermilch aufgesogen haben, und praktisch alles wissen, in Corks Buch nicht die gesuchte Erkenntnis finden. Natürlich fürchten sie, ihr Monopol am Weindiskurs zu verlieren und der Captain musste von den Gebildeten schon ordentlich Prügel kassieren, wie das bei Piraten so ist. So wurde er erst kürzlich in den sozialen Netzwerken damit aufgezogen, dass das »ultimativ andere Weinbuch« günstig zu haben sei und nun ja jeder mitreden könne. Derlei alberne Stichelei verweist aber auf einen ganz beschränkten Geist. Denn anders als in der Welt des Weines, wo es auch nur bedingt zutrifft, ist der Preis in der Welt der Bücher kein Indikator für Qualität und Bedeutung – manche der kulturhistorisch bedeutendsten Bücher kann man sogar umsonst im Internet lesen, etwa die Bibel. Also derlei Kritik ist jedenfalls unangebracht, da sie nicht auf die Funktion des Buches abzielt.

In historischer Perspektive markiert Corks Buch nämlich den Beginn einer neuen Epoche der Kommunikation über Wein in Deutschland – Aufbruch – unbekannte Ufer – Seefahrt. Cork stilisiert sich selbst zum Kapitän künftiger Generationen von ambitionierten Jungtrinkern, denen er die richtige Route weist, die Sterne deutet etc. Bissel wie ein Prophet, Moses oder so, nur cool eben. Damit hat er dem Weinjournalismus in Deutschland einen großen Dienst erwiesen, für den ihm vor allem Dank gebührt. Uns hat er in jedem Fall inspiriert und wir geben das auch ganz offen zu. Solche Bekenntnisse haben auch nichts mit Einschleimen oder so zu tun und sind beispielsweise in der Rapszene, die ja noch bedeutend »härter« als die Weinszene ist, ganz selbstverständlicher Bestandteil des Business.

Rainer Balcerowiak, Manfred Klimek: Captain Cork. Das ultimativ andere Weinbuch. Erschienen bei Hallwag, München 2013.

Psautier de Paris, BnF MS Grec 139, folio 419v. Traversée de la Mer Rouge. Noyade de l’armée de Pharaon.